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Eine Kindheit in der DDR Haus St. Marien

Zeitzeugen-Projekt: Sina Dotzer und ihre Mama Katja

Heute erzähle ich euch die Geschichte meiner Mama Katja, die in einer Diktatur aufgewachsen ist. Alles beginnt, als meine Mama in der ehemaligen DDR zur Welt gekommen ist. Sie wurde am 10. März 1979 in Halle/Neustadt (dies gehört heute zu dem Bundesland Sachsen-Anhalt) geboren. Sie wurde bereits mit acht Wochen in die Kinderkrippe gegeben, da es in dieser Zeit normal war, die Kinder so früh in Fremdbetreuung zu geben. Meine Oma arbeitete in Vollzeit als Erzieherin in der gleichen Kinderkrippe und mein Opa als Dreher in einer Fabrik. Zu diesem Zeitpunkt war meine Tante bereits in der Schule.

Am 31. August 1985 wurde auch meine Mama eingeschult. Sie ging in die 1. Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule. In dieser Schule blieb sie auch bis zur 5. Klasse. Die ersten vier Jahre hatte sie immer die gleiche Lehrerin namens Frau Weiß. Mit ihr verstand sie sich immer sehr gut. Doch als ihre Lehrerin einen Antrag stellte, um in die BRD zu reisen, verschwand diese plötzlich und niemand konnte/durfte Auskunft über sie geben. Bis heute weiß meine Mama nicht, was mit ihr passiert ist. Somit hatte sie in der 5. Klasse eine neue Lehrerin.

In der Schule wurde nie das Fach Englisch unterrichtet, stattdessen wurde Russisch gelernt. Das Unterrichtsfach Sport war sehr wichtig und die sportlichen Leistungen der Kinder wurden sehr anerkannt und gefördert. Es gab auch viele Wettkämpfe, wo die Kinder ihr Können unter Beweis stellen konnten. Zu solchen Wettkämpfen und anderen schulischen Feierlichkeiten wurden Uniformen und sogenannte „Pioniere“ getragen. Bis zur 4. Klasse war man ein Jungpionier und trug somit ein blaues Halstuch, ab der 5. Klasse war man ein Thälmann-Pionier und trug somit ein rotes. Meine Mama erinnert sich noch besonders gut daran, dass am Ende des Jahres die drei engagiertesten Schüler zu einem Kinobesuch mit ihrer Klassenlehrerin eingeladen wurden. Am Ende der 4. Klasse war bei so einem Besuch auch meine Mama dabei, und sie schauten „Die unendliche Geschichte“ an. Dies war auch der erste Kinobesuch für sie und das letzte Wiedersehen mit Frau Weiß. Auch typisch war es, dass die meisten Kinder keiner Religion angehörten, somit feierten alle zusammen am Ende der 8. Klasse die sogenannte „Jugendweihe“. Das bedeutet, dass sie in die Reihen der Erwachsenen aufgenommen werden. So viel zu ihrer Schulzeit.

Nun kommen wir zu ihrer Freizeit. In der ersten Klasse besuchte sie ein Ferienlager, das drei Wochen dauerte. Dies war so üblich, da die Sommerferien acht Wochen lang waren und die Eltern viel arbeiten mussten. An dieses Camp hat meine Mama keine guten Erinnerungen, da sie sich sehr allein und unwohl gefühlt hatte. Dafür fand sie die Zeit bei ihren Großeltern umso schöner. Diese wohnten im 15 Kilometer entfernten Krosigk und hatten ein kleines gemütliches Haus mit einem riesigen Garten, denn meine Uroma und mein Uropa waren überwiegend Selbstversorger – sie bauten alles Mögliche in ihrem Garten an und verarbeiteten dies in unzählige Varianten. Denn zu dieser Zeit gab es nicht viel zu kaufen. Urlaub konnte nur in bestimmten Ländern gemacht werden, wie zum Beispiel CSSR (heutiges Tschechien) oder Ungarn. Die meisten jedoch verbrachten ihre Urlaube innerhalb der DDR. Meine Uroma hatte Verwandtschaft in der BRD, von dieser bekamen meine Mama und meine Tante immer mal wieder Geld, um in den Intershop zu gehen und sich Sachen aus der BRD auszusuchen, die nur mit Westmark zu bezahlen waren. Als Auto besaßen sie einen Wartburg – das war der ganze Stolz der Familie und jedes Wochenende putzten sie ihn alle zusammen. Denn auf Autos musste man sehr lange warten und es war nicht selbstverständlich, eins zu besitzen.

Insgesamt hatte meine Mama eine sehr schöne Kindheit und es fehlte ihr eigentlich an nichts (außer an Bananen, die sie so gerne mochte, die aber nur selten zu bekommen waren), obwohl es eigentlich nicht viel gab. Dadurch, dass alle ungefähr dasselbe hatten, gab es keinen Neid und es war ein schönes Miteinander. Die politische Lage verstand meine Mama zu dieser Zeit noch nicht. Noch heute redet sie gerne über ihre Kindheit in der DDR und denkt noch viel darüber nach, was passiert wäre, wenn sie nicht weggezogen wäre. Als die Mauer gefallen ist und eine Ausreise möglich war, ist mein Opa als Erstes weggezogen und der Rest der Familie nach. Meine Mama war sehr traurig und hatte es niemandem erzählt, sodass ihre Freunde bis heute nicht wissen, wo sie hingegangen ist. Das Einzige, was meiner Mama von dieser Zeit noch bleibt, sind ein paar wenige Dokumente und Bilder, aber vor allen Dingen die ganzen Erinnerungen, die sie mir und meinem Bruder heute erzählen kann.

Auf einem Plakat hielt Sina nicht nur die oben erzählte Geschichte fest, sondern auch noch weitere Fotos, z. B. von einem Zeugnis, einer Sportmedaille und der Schulklasse ihrer Mama.

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